„Hannah Arendt“ (Nr. 06, 2016) des „Philosophie Magazin“ – www.philomag.de
Ein Editorial von Catherine Newmark, erschienen in der Sonderausgabe
Sie ist eine der großen Außenseiterinnen des 20. Jahrhunderts und eine der schärfsten Beobachterinnen ihrer Epoche. Hannah Arendts Themen sind von bleibender Aktualität: die Ursprünge politischer Gewalt, die Unbegreiflichkeit des Bösen, die Menschenrechte von politisch Verfolgten und Flüchtlingen, der Sinn der Arbeit. Genauso aber auch ihre leidenschaftlich gelebte Überzeugung, dass vernünftiger Streit von zentraler Bedeutung für eine Demokratie ist. Arendt ist nicht zuletzt deshalb zur Ikone der Geistesgeschichte geworden, weil sich in ihrer Biografie und ihrem Denken alle Schrecken, aber auch alle Hoffnungen des 20. Jahrhunderts spiegeln. Sie war Jüdin im Deutschland der 1920er- und 1930er-Jahre, sie erlebte den zunehmend mörderischen Antisemitismus, wurde zum Flüchtling und musste sich im amerikanischen Exil fern ihrer Heimat und Muttersprache eine neue Existenz als Autorin und Wissenschaftlerin aufbauen. Die Erfahrungen von Vertreibung und Flucht, die sie fast 15 Jahre als Staatenlose leben ließen,haben ihr politisches Bewusstsein entscheidend geprägt. Aus der von ihr selbst erlebten allzu schnellen Gleichschaltung der Philosophen und Intellektuellen im Dritten Reich blieb ihr eine lebenslange Skepsis gegenüber der rein akademischen Existenz, gegenüber einer Philosophie, die „weltlos“ ist und sich aus der Politik zurückzieht. Arendts Denken war immer politisch und streitbar, sie hat die Öffentlichkeit nie gescheut, ja, im öffentlichen Engagement geradezu eine staatsbürgerliche Pflicht gesehen. Eine Trennung zwischen Akademie und Agora, zwischen Wissenschaft und Marktplatz gab es für sie nicht. Philosophieren hieß für sie immer öffentliches Nachdenken im Dienste der Demokratie. Arendt wieder zu lesen, heißt nicht, bloß ihren Ideen zu folgen. Sondern vielmehr auch ihrem Ideal, dem beherzten Denken „ohne Geländer“ und ohne Vorurteile. Es heißt, uns mit der Welt, in der wir leben, aktiv auseinanderzusetzen. Und um die Sache zu streiten. Nicht mit Hass, sondern mit Gründen. Einen Moment lang können wir uns dabei an ihr festhalten, um anschließend eigenständig unseren Weg zu gehen.
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